Insektenbestimmung

Warum die DNA-Identifizierung von Insekten nur Arten, aber nicht Individuen zählt

Die genetische Fingerprint-Technologie hat die Bestimmung von Insektenarten revolutioniert. Mit DNA-Analysen lassen sich selbst winzige Fragmente von Insekten zuverlässig einer Art zuordnen. Doch obwohl diese Methode wertvolle Erkenntnisse liefert, hat sie eine entscheidende Einschränkung: Sie erlaubt keine exakte Zählung der Individuen. Warum das so ist und welche Auswirkungen das auf die Forschung hat, erfährst du in diesem Artikel.

Genetische Methoden wie das DNA-Barcoding vereinfachen die Art-Identifikation von Insekten. Bild erstellt mit KI (DALL·E), generiert von ChatGPT (OpenAI). Nutzung nur mit Erlaubnis.

Wie funktioniert die DNA-Analyse zur Bestimmung von Insekten?

Bei der DNA-Identifizierung von Insekten kommen meist zwei Methoden zum Einsatz:

  1. DNA-Barcoding: Hierbei wird ein kurzer Abschnitt der mitochondrialen DNA (meist das COI-Gen) sequenziert und mit einer Datenbank verglichen. Dadurch lässt sich eine Art eindeutig identifizieren.
  2. Metabarcoding: Diese Methode wird bei Proben mit vielen Insekten oder Umweltproben (z. B. Bodenproben) genutzt. Dabei wird die gesamte DNA extrahiert und analysiert, um festzustellen, welche Arten in der Probe vorkommen.

Beide Methoden haben den großen Vorteil, dass sie auch kleinste Fragmente oder schwer bestimmbare Larven erfassen können. Doch bei der Frage nach der Individuenzahl stoßen sie an ihre Grenzen.

Warum kann die DNA-Analyse keine Individuen zählen?

1. Unterschiedliche DNA-Mengen pro Individuum

Nicht jedes Insekt enthält gleich viel DNA. Größere Individuen besitzen mehr Zellen und damit mehr genetisches Material als kleinere. Wenn eine Probe aus mehreren Tieren besteht, kann es passieren, dass eine große Heuschrecke mit viel DNA eine Vielzahl kleinerer Insekten in der Analyse „überstimmt“.

2. DNA-Zersetzung und Fragmentierung

In vielen Fällen liegen Insektenproben nicht als ganze Individuen vor, sondern als zerkleinerte oder zersetzte Fragmente. Besonders in Umweltproben kann DNA durch äußere Einflüsse wie Feuchtigkeit oder UV-Strahlung abgebaut werden. Dadurch können manche Arten überrepräsentiert und andere unterrepräsentiert sein.

3. PCR-Verzerrungen bei der Analyse

Die DNA-Analyse nutzt die Polymerase-Kettenreaktion (PCR), um bestimmte DNA-Abschnitte zu vervielfältigen. Dieser Prozess ist jedoch nicht für alle Arten gleich effizient. Manche DNA-Sequenzen vervielfältigen sich leichter als andere, was zu einer Verzerrung der Ergebnisse führt. So könnte es aussehen, als ob eine Art häufiger vorkommt, obwohl nur ein einziges Individuum vorhanden war.

4. Unterschiedliche Zellzahlen in Gewebeproben

Verschiedene Insektenarten haben unterschiedlich viele Zellkerne in ihren Geweben. Das bedeutet, dass eine Art mit besonders hoher Zellanzahl eine größere Menge an extrahierbarer DNA liefert als eine Art mit geringer Zellzahl – selbst wenn beide mit der gleichen Individuenzahl vertreten sind.

Welche Auswirkungen hat das auf die Forschung?

Die Tatsache, dass DNA-Analysen nur Arten, aber keine Individuenzahlen erfassen können, hat weitreichende Folgen für Studien zur Biodiversität und zum Insektenrückgang:

  • Kein exakter Populationsvergleich: Da DNA-Analysen keine präzise Individuenzählung ermöglichen, sind Vergleiche zwischen Standorten oder Zeiträumen schwierig. Veränderungen in der Artzusammensetzung können erfasst werden, aber nicht, ob eine Art tatsächlich seltener oder häufiger wird.
  • Eingeschränkte ökologische Aussagen: In ökologischen Studien ist es oft wichtig zu wissen, wie viele Individuen einer Art vorhanden sind – etwa, um die Rolle einer Art im Nahrungsnetz zu verstehen. Mit DNA-Analysen kann man das nicht zuverlässig bestimmen.
  • Kombination mit anderen Methoden nötig: Um die Anzahl der Individuen korrekt zu erfassen, müssen DNA-Analysen mit traditionellen Monitoring-Methoden wie Malaise-Fallen oder Lichtfallen kombiniert werden.

Zusammenfassung: DNA-Analysen sind wertvoll, aber keine Zählmethode

Die DNA-basierte Bestimmung von Insekten ist eine bahnbrechende Methode zur Erfassung der Artenvielfalt. Sie ermöglicht es, selbst schwer identifizierbare Arten zuverlässig nachzuweisen. Doch wenn es darum geht, die genaue Anzahl der Individuen zu bestimmen, stößt sie an ihre Grenzen. Die Lösung liegt in einer Kombination aus genetischen und klassischen Erfassungsmethoden, um ein vollständiges Bild der Insektenpopulationen zu erhalten.


Interesse an Wildbienenbestimmung? Erfahre in diesem Artikel ob Bestimmungs-Apps für Wildbienen bald die Experten überflüssig machen.

Quellen:

Hurst, G. D. D., & Jiggins, F. M. (2005). Problems with mitochondrial DNA as a marker in population, phylogeographic and phylogenetic studies: The effects of inherited symbionts. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 272(1572), 1525–1534. https://doi.org/10.1098/rspb.2005.3056

Whitworth, T. L., Dawson, R. D., Magalon, H., & Baudry, E. (2007). DNA barcoding cannot reliably identify species of the blowfly genus Protocalliphora (Diptera: Calliphoridae). Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 274(1619), 1731–1739. https://doi.org/10.1098/rspb.2007.0062

Song, H., Buhay, J. E., Whiting, M. F., & Crandall, K. A. (2008). Many species in one: DNA barcoding overestimates the number of species when nuclear mitochondrial pseudogenes are coamplified. Proceedings of the National Academy of Sciences, 105(36), 13486–13491. https://doi.org/10.1073/pnas.0803076105

Srivathsan, A., Lee, L., Katoh, K., Hartop, E., Narayanan Kutty, S., & Meier, R. (2021). ONTbarcoder and MinION barcodes aid biodiversity discovery and identification by everyone, for everyone. BMC Biology, 19(1), 217. https://doi.org/10.1186/s12915-021-01132-4

Hebert, P. D. N., Ratnasingham, S., Zakharov, E. V., Telfer, A. C., Levesque-Beaudin, V., Milton, M. A., Pedersen, S., Jannetta, P., & deWaard, J. R. (2016). Counting animal species with DNA barcodes: Canadian insects. Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences, 371(1702), 20150333. https://doi.org/10.1098/rstb.2015.0333

Posted by Juliane Schäffer in Biodiversität, Wissenschaft, 0 comments

Können Künstliche Intelligenz und Apps Wildbienen fehlerfrei bestimmen?

In den letzten Jahren haben sich KI-gestützte Bestimmungs-Apps rasant weiterentwickelt. Plattformen wie iNaturalist, ObsIdentify oder Wildbienen Id BienABest ermöglichen es mittlerweile, Wildbienen durch einfache Foto-Uploads automatisch bestimmen zu lassen. Doch wie zuverlässig sind diese Technologien wirklich? Können sie eine präzise, wissenschaftlich fundierte Identifikation garantieren? Die Antwort ist nein – zumindest noch nicht.

Bestimmungsapps zur Identifizierung von Insekten werden immer besser und beliebter. Bild erstellt mit KI (DALL·E), generiert von ChatGPT (OpenAI). Nutzung nur mit Erlaubnis.

Im letzten Artikel ging es um Insektenfallen und warum diese für die Biodiversitätsforschung unverzichtbar sind. In Zeiten der künstlichen Intelligenz stellt sich natürlich die Frage, ob diese das mühselige fangen, präparieren, etikettieren und bestimmen von Insekten überflüssig machen könnte. Schließlich kostet das alles Zeit, Geld und wertvolle Insektenleben. Und es stimmt: Künstliche Intelligenz und automatisierte Bildanalyse kann die Bestimmung vereinfachen und beschleunigen, jedoch stoßen sie besonders bei komplexen Insektengruppen wie Wildbienen an klare Grenzen. Viele Arten sind sich so ähnlich, dass selbst erfahrene Taxonomen sie nur unter dem (Stereo)-Mikroskop anhand von winzigen Unterschieden sicher bestimmen können.

Warum sind KI und Apps bei der Wildbienen-Bestimmung noch unzuverlässig?

🐝 Hohe Artenvielfalt und Ähnlichkeit
Die Familie der Wildbienen (Apidae) umfasst allein in Deutschland über 580 Arten, von denen viele nur durch minimale Unterschiede in Behaarung, Körperbau oder Flügeladern zu unterscheiden sind. Besonders bei den Gattungen Andrena, Lasioglossum oder Hylaeus sind oft winzige Details entscheidend, die eine KI bzw. eine Kamera nur schwer erfassen kann.

🐝 Unzureichende Trainingsdaten für viele Arten
KI-Systeme sind darauf angewiesen, große Mengen an Trainingsdaten zu verarbeiten. Während für weit verbreitete Arten wie die Gehörnte Mauerbiene (Osmia cornuta) oder die Ackerhummel (Bombus pascuorum) bereits zahlreiche Bilder existieren, fehlen für seltene oder schwer fotografierbare Arten oft ausreichend hochwertige Aufnahmen. Ohne diese Daten kann die KI keine zuverlässige Bestimmung liefern.

🐝 Notwendigkeit mikroskopischer Merkmale
Viele Wildbienenarten lassen sich nur durch spezielle anatomische Merkmale unterscheiden – etwa die Struktur der Flügeladern, die Form der Fühler oder sogar Details der Genitalien. Diese Merkmale können von einer Kamera oft nicht erfasst werden, was die Bestimmung über Fotos allein unmöglich macht.

🐝 Beeinflussung durch Umweltfaktoren
Lichtverhältnisse, Schattenwurf, schlechte Bildqualität oder eine ungünstige Perspektive können dazu führen, dass die KI falsche Rückschlüsse zieht. So kann eine dunkle Lichtstimmung oder ein bestimmter Kamerawinkel aus einer Anthophora schnell eine vermeintliche Bombus-Art machen.

Wo können KI und Apps dennoch hilfreich sein?

Für viele Forschungsfragen, z.B. welche und wieviele Arten in einem Gebiet leben, oder ob bestimmte Biodiversitätsmaßnahmen förderlich für Zöönosen sind, kann die Bestimmung per App (noch) nicht für Wildbienen und viele andere Insektenfamilien angewendet werden. Aber wer weiß was die Zukunft bringt?

Trotzdem gibt es Bereiche, in denen künstliche Intelligenz einen echten Mehrwert bietet:

  • Grobe Einordnung bis zur Gattung oder Artengruppe
    KI kann oft zumindest die richtige Gattung oder Artengruppe identifizieren. So kann sie beispielsweise erkennen, ob es sich um eine Hummel, Sandbiene oder Furchenbiene handelt. Für eine exakte Artbestimmung ist jedoch fast immer eine Überprüfung durch einen Experten erforderlich.
  • Citizen Science & Biodiversitätsmonitoring
    Plattformen wie iNaturalist oder Observation.org nutzen KI, um Bürgerwissenschaftler (Citizen Scientists) bei der Identifikation zu unterstützen. Auch wenn die Bestimmungen nicht immer korrekt sind, liefern diese Daten wertvolle Hinweise auf das Vorkommen bestimmter Arten und helfen dabei, langfristige Veränderungen im Wildbienenbestand zu erfassen.

Oft wird auch der Vorteil erwähnt, dass mithilfe der Apps große Mengen an Insektenproben vorselektiert werden können, damit sie anschließend von Experten genauer bestimmt werden können. Das klingt erst mal gut, ist jedoch meiner Meinung in der Praxis nicht praktikabel. Von jedem Individuum muss nämlich für die Bestimmung per App ein Foto gemacht und das Handy bedient werden. Das alles braucht auch viel Zeit und diese sollte besser in eine schnelle Schulung der wissenschaftlichen Mitarbeiter investiert.

Zusammenfassung: KI ist eine wertvolle Hilfe, aber kein Ersatz für Experten

Die Fortschritte in der KI-gestützten Bestimmung sind beeindruckend, doch bei komplexen Artengruppen wie den Wildbienen bleiben sie noch weit von einer fehlerfreien Identifikation entfernt. Künstliche Intelligenz kann also helfen, grobe Einordnungen vorzunehmen aber menschliche Experten sind nach wie vor unverzichtbar, wenn es um eine präzise Bestimmung geht.

Für Wissenschaft, Naturschutz und Biodiversitätsforschung können Bestimmungs-Apps trotzdem eine wertvolle Unterstützung sein – aber nur, wenn ihre Grenzen klar erkannt und ihre Ergebnisse immer kritisch überprüft werden.

Quellen und weiterführende Links:
Observation International: Diese gemeinnützige Stiftung betreibt Plattformen wie Observation.org und die App ObsIdentify, die mithilfe von KI Naturbeobachtungen sammeln und bestimmen.
https://observation-international.org/de/

iNaturalist: Ein soziales Netzwerk und Citizen-Science-Projekt, das durch KI-gestützte Bestimmung und Expertenvalidierung zur Dokumentation der Artenvielfalt beiträgt.
https://www.inaturalist.org/

Wildbienen Id BienABest: Eine App, die die Bestimmung der 100 häufigsten Wildbienenarten Deutschlands ermöglicht.
https://www.bienabest.de/app-wildbienen-id-bienabest

Posted by Juliane Schäffer in Biodiversität, Wildbienen, Wissenschaft, 0 comments